Präsident Franz Titschenbacher: Trockenheit, Spätfröste und Starkregen prägten das Vegetationsjahr. Klimawandel begünstigt auch Ausbreitung von weltweit eingeschleppten Schädlingen und Unkräutern, die unsere Ernten gefährden. Der Kammerpräsident verlangt, dass sichere Versorgung mit Lebensmitteln in Bundesverfassung verankert wird und dass Land- und Forstwirtschaft stärker in Bundes- und Landesgesetzen berücksichtigt wird.
2020 wieder Jahr der massiven Wetterextreme. Zeitfenster für Anbau, Pflege und Ernte werden immer kürzer. „Der Klimawandel zeigte heuer wieder sein grimmiges Gesicht und stellte unsere Bäuerinnen und Bauern vor große und neue Herausforderungen“, fasst Kammerpräsident Franz Titschenbacher das Vegetationsjahr 2020 zusammen. Krass abnorm waren: Erstens die besonders frühen Spätfröste, die große Schäden an den vorzeitig entwickelten Obstkulturen wie Marillen, Kirschen und Äpfeln (zu hohe Temperaturen im Februar und März!) anrichteten. Zweitens: Der jeweils wärmste und trockenste Februar und März führte zwar zu guten Anbaubedingungen, aber auch zu einer Massenentwicklung von Insekten, die die Keimlinge zerstörten und darüber hinaus Krähen, Fasanen und Tauben anlockten und die Keimpflanzen – vor allem bei Saatmais – weiter dezimierten. Drittens: Enorme Starkregenmengen, die in wenigen Minuten zu Erosionen und Überschwemmungen führten. „Diese häufiger und massiver auftretenden Wetterkapriolen machen es unseren Bäuerinnen und Bauern immer schwerer die Ernte abzusichern. Die Zeitfenster für die erforderlichen Pflege-, Pflanzen- und Ernteschutzmaßnahmen werden immer kürzer. Die Landwirte sind gezwungen, selbst die Nachtstunden zu nutzen. Dafür ersuchen wir um Verständnis“, unterstreicht Titschenbacher ferner.
Hart betroffene Kulturen. Mit 45,3 Millionen Euro (Frost: 26 Millionen Euro, Dürre 4 Millionen, Hagel und Überschwemmung 15,3 Millionen) sind die Schäden damit deutlich höher als im Vorjahr (27,2 Millionen Euro). Bei Marillen führten diese Wetterextreme zu Totalausfällen, nur 30 Prozent der üblichen Kirschenernte konnte eingebracht werden und bei Zwetschken und Pfirsichen gab es auch nur eine schwache Durchschnittsernte. Die Apfelversorgung bis zur nächstjährigen Ernte ist gesichert – aber die Spätfröste haben nur zwei Drittel einer Normalernte ermöglicht. Auch die Kürbisernte ist unterdurchschnittlich ausgefallen, die Versorgung wegen der starken Flächenausweitung erfreulicherweise gut gesichert. Die Frühjahrstrockenheit hat die Grünlandernte beim ersten Schnitt arg in Mitleidenschaft gezogen, die folgenden Aufwüchse konnten eine Futterknappheit abwenden. Die Maiserträge sind bei höherer Erntefeuchte sehr zufriedenstellend. Zufrieden sind auch die Gemüsebauern: Die Erträge bei Paradeisern, Paprika und Gurken waren durchschnittlich.
Ernte gefährdet: Klimawandel begünstigt Ausbreitung von weltweit eingeschleppten Schädlingen, Unkräutern und Krankheiten. Aus anderen Kontinenten wurden in den vergangenen Jahrzehnten sehr viele Schädlinge, Krankheiten und Unkräuter eingeschleppt. „Diese invasiven Schaderreger haben keine natürlichen Gegenspieler und verursachen enorme Schäden in der Land- und Forstwirtschaft. Sie haben sich bei uns bereits etabliert und sind nicht mehr ausrottbar“, mahnt Kammerdirektor Werner Brugner. Besonders dramatisch ist heuer die Auswirkung der aus Ostasien eingeschleppten Kirschessigfliege auf die steirische Leitkultur Holunder als zweitwichtigste Obstkultur. „Etwa die Hälfte der erwarteten Ernte wurde zerstört, Totalausfälle gefährden nicht nur einzelne Betriebe, sondern insgesamt die Erfüllung von langjährigen Lieferverträgen mit wichtigen Partnern der Lebensmittelbranche“, betont Brugner und gibt zu bedenken, dass die Steiermark bei Holunder Weltmarktführer ist. Im Pflanzenbau wird die aus dem Balkan eingewanderte hochallergene Ambrosia zu einem immer größeren Problem. „Bei allem Bemühen der Landwirte durch händisches Ausreißen und durch mechanische Bekämpfung, ist die Ausbreitung nicht zu stoppen, weil sie sich stark über Infrastrukturflächen und Erdfrachtungen im Zuge von Bauprojekten ungezügelt verbreitet“, führt Brugner ins Treffen. Mit großer Sorge beobachten die Landwirte auch die wenig erfolgreichen Versuche, die Verbreitung des Erdmandelgrases, der Schönmalve, Spitzklette und des Johnson-Grases einzudämmen. „Alle diese invasiven Schaderreger haben eine starke Wuchskraft und ein höheres Wasser- und Nährstoffaneignungsvermögen als unsere Kulturpflanzen, die sie in wenigen Wochen überwuchern und zum Teil kümmern oder absterben lassen“, erklärt Brugner. Präsident Franz Titschenbacher verlangt in diesem Zusammenhang: „Ein Schutz der Ernte ist notwendig. Von der Forschung und Wissenschaft brauchen wir dringend Lösungen zur Eindämmung dieser furchtbaren Schädlinge und Unkräuter, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.“
Vizepräsidentin Maria Pein: Langfriststrategie Humusaufbau gegen Klimawandel. „Die immer häufiger und intensiver auftretenden Wetterextreme wie Starkregen oder die anhaltende Trockenheit in den vergangenen Jahren erfordern eine verbesserte Wasserspeicherfähigkeit der Ackerböden. Das ist praktisch nur über eine Verbesserung des Humusgehaltes möglich“, sagt Vizepräsidentin Maria Pein. Die Experten des von der Landwirtschaftskammer im Vorjahr in Feldbach eingerichteten Kompetenzzentrums für Boden-, Humus- und Erosionsschutz arbeiten mit 60 innovativen Praktikern an diesem Generationenthema. Aber es sind auch kurzfristig Erfolge zu verzeichnen. Dazu Pein: „Bereits nach einem Jahr vorbildlichem Humusaufbau durch Zwischenfrüchte, Begrünungen und Belassen der Ernterückstände auf der Fläche kann das Wasserhaltevermögen pro Quadratmeter Ackerland um zwei Liter erhöht werden.“ Das entspricht zum Beispiel im 350 Hektar großen Einzugsgebiet eines Baches, der im Raum Hatzendorf untersucht wurde, einem zusätzlichen Wasserrückhalt von 7.000 Kubikmeter. Pein: „Das sind etwa 300 LKW-Züge Wasser, die ansonsten in nur wenigen Minuten zu massiven Erosionen und Verschmutzungen von Straßen führen würden.“
Klimafitter Ackerbau: Schwerpunkt Humusaufbau bei Versuchen und bei Beratung der Bauern. Die Landwirtschaftskammer hat den Humusaufbau zu einem Schwerpunkt-Thema in ihrer Versuchs- und Beratungstätigkeit gemacht und begleitet Landwirte auf dem Weg zum klimafitten Ackerbau. Die Erhöhung des Humusgehaltes ist zentrale Voraussetzung zur Abfederung der schlimmen Auswirkungen des Klimawandels, zum Schutz der Ernte und des Betriebserfolges sowie zur sicheren Versorgung der Bevölkerung mit regionalen Lebensmitteln. „Ein humusreicher Boden speichert Wasser, schützt die Pflanzen besser vor Trockenheit und bei Starkregen den Boden vor Abschwemmung“, betont Pein und unterstreicht „Eine zentrale Rolle spielt dabei eine vielfältige Fruchtfolge mit einer im Idealfall ganzjährigen Begrünung mit speziellen insektenfreundlichen Blühpflanzen, die den Bienen und Insekten Nahrung bieten, von den Regenwürmern verwertet werden und so einen gesunden Boden schaffen.“ Auch im Obst- und Weinbau sollen die Begrüngen zu unterschiedlichen Zeitpunkten verjüngt werden, um den Bienen und Insekten stets frische Blüten zu bieten.
Krisenvorsorge: Sichere Versorgung mit heimischen Lebensmitteln in Bundesverfassung verankern. Die Bevölkerung hat in der Corona-Krisenzeit den großen Wert der regionalen Lebensmittelversorgung als eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Krisenvorsorge schätzen gelernt. Sie ist aber keine Selbstverständlichkeit, deshalb sollte der Staat mit gutem Beispiel vorangehen. „Eine nachhaltige Absicherung der Land- und Forstwirtschaft ist die beste Krisenvorsorge. Diese stellt für die Bevölkerung auch dann Lebensmittel bereit, wenn die Grenzen geschlossen sind“, sagt Titschenbacher und betont: „Die Selbstversorgung, vorrangig mit wichtigen Lebensmitteln und Rohstoffen, soll in der Bundesverfassung verankert werden.“ Und weiter: „Wir hoffen auch, dass die Wichtigkeit der land- und Forstwirtschaft noch stärker in den gesetzlichen Rahmenbedingungen des Bundes und Landes Einzug finden. Das beginnt beim Zugang zu Wasser für Bewässerungszwecke und reicht bis hin zu Raumordnungs- und Pflanzenschutzthemen für die produzierende Landwirtschaft.“
Der Interessenvertretung ist es während der Corona-Akutphase gelungen, bei den Vorlieferanten und Behörden, die alle im Lockdown waren, Ausnahmereglungen auf breiter Ebene für den systemrelevanten Schlüsselbereich Landwirtschaft zu erreichen. So konnte die gesamte Saatgut-, Pflanzenschutz- und Düngungslogistik aufrechterhalten werden, bis hin zum Verkauf von Ersatzteilen für landwirtschaftliche Maschinen und Geräte.