Titschenbacher: Tierwohl erfordert von den Bauern enorme Investitionen und laufende Kosten, daher kann es noch mehr Tierwohl nicht zum Nulltarif geben
Unberechenbare Situation. Die Kostenlage bei den Milchbauern hat sich durch den russischen Angriffskrieg noch einmal dramatisch verschärft. Um 50 Prozent sind die Energiekosten hinaufgeschossen und Futter ist um 30 Prozent teurer geworden. „Der Druck auf die Milchbauern ist massiv. Dankenswerterweise sind die in der Steiermark tätigen Molkereien in Vorlage getreten und haben in kleinen Schritten die Erzeugermilchpreise angehoben“, sagt Landwirtschaftskammer-Präsident Franz Titschenbacher. Und weiter: „Doch diese Vorleistungen müssen von den Molkereien, die aktuell in zähen Verhandlungen mit dem Lebensmittelhandel stehen, erst erwirtschaftet werden. Daher wende ich mich mit Nachdruck an die Verantwortlichen des Lebensmittelhandels, den Molkereien vernünftige, betriebswirtschaftlich vertretbare Produktpreise zu bezahlen, um eine nachhaltige Milchwirtschaft in Österreich zu sichern.“
Brandgefährlich: Immer weniger Milchviehbetriebe. Die derzeit unberechenbare Situation ist für die heimischen Milchbauern brandgefährlich. Titschenbacher warnt: „Ein Ende der Kostenexplosion ist nicht in Sicht. Die Erlöse der Milchbauern können mit den gestiegenen Ausgaben und den Kosten für die ständig steigenden Standards wie beispielsweise für noch mehr Tierwohl nicht mithalten. Die explodierenden Kosten für die Milchbauern verlangen zwingend höhere Erlöse. Wenn es hier nicht zu einer nachhaltigen Änderung kommt, riskieren wir noch einmal so viele Betriebe wie bisher zu verlieren.“ Ein Beispiel für die bedenklichen Einkünfte eines Milchviehbetriebes: Für eine Arbeitsstunde bleiben dem Milchbauern gerade einmal 5,70 Euro, was inklusive EU-Ausgleichszahlungen im Monat magere 1.026 Euro netto pro Arbeitskraft ausmacht. Seit dem Jahr 2010 haben 33 Prozent der Milchviehbetriebe in der Steiermark ihre Stalltüren für immer geschlossen. Die magische Grenze von 4.000 steirischen Milchlieferanten (Ö: 24.900) wurde bereits im Vorjahr unterschritten.
Teuerungsausgleich notwendig. Unabhängig davon nimmt der LK-Präsident aber auch die Bundesregierung in die Pflicht, zumal der Staat an den höheren Betriebsmittelpreisen im Wege der Umsatzsteuer mitverdient. „Die Regierung muss mit einem Teuerungsausgleich gegensteuern, bei dem das Geld zielgerichtet und unbürokratisch bei den Betrieben ankommt. Sonst werden noch mehr Milchbauern aufgeben. Das kann in Zeiten, in denen Versorgungssicherheit großgeschrieben wird, keiner wollen!“, mahnt Titschenbacher.
Besonders große Sorgen um kleinere Betriebe im Berggebiet: Tierwohl gibt es nicht zum Nulltarif – Investitionen sind enorm teuer. „Besonders große Sorgen bereiten mir die kleineren Milchbäuerinnen und Milchbauern im Berggebiet, deren Lage wegen der geringen Einkünfte ohnehin schwierig ist. Oft können sie, umgeben von steilen Hängen, ihre Ställe zur Erfüllung noch höherer Tierwohlstandards kaum vergrößern. Außerdem sind Investitionen in zusätzliches Tierwohl enorm teuer“, skizziert der Kammerpräsident die nicht einfache Situation. Und betont: „Mehr Tierwohl hat seinen Preis und dieses kann es nicht zum Nulltarif geben.“ Nach dreijähriger Vorbereitungsarbeit ist es den Landwirtschaftskammern, der Universität für Bodenkultur und der Höheren Lehr- und Forschungsanstalt Raumberg-Gumpenstein gelungen, mit dem EIP-Projekt Berg-Milchvieh (Europäische Innovationspartnerschaft) praktikable individuelle Tierwohllösungen zu entwickeln. Damit werden die Tierwohl-Wünsche, wie beispielsweise nach mehr Bewegungsmöglichkeit auch im Freien, von Konsumenten und Handel erfüllt. Gleichzeitig gelingt es damit auch, die Arbeitssituation der Milchbäuerinnen und Milchbauern zu verbessern.
Aufpreis-Bereitschaft für Produkte mit höheren Tierwohlstandards: Scanner-Daten an Supermarktkasse klaffen mit Umfragedaten stark auseinander. Eine aktuelle online-Umfrage von marketagent zeigt, dass grundsätzlich 75 Prozent der Konsumenten bereit wären, mehr für Tierwohl auszugeben. Dass Umfragedaten und Scanner-Daten jedoch nicht übereinstimmen, zeigt Yascha Lena Koik, Doktorandin an der Universität Göttingen. Im Zuge ihrer Dissertation hat sie herausgefunden, dass Einkaufsverhalten und Umfrageverhalten ernüchternd auseinanderklaffen. Selbst wenn Tierwohl auf dem Produkt ausgewiesen ist, greifen mehr als 50 Prozent der Konsumenten doch zum Billigstangebot. „Dieses Phänomen geht immer zu Lasten der Bauern und Bäuerinnen“, gibt Präsident Franz Titschenbacher zu bedenken.
Silvia Prugger, Milchbäuerin: Mich ärgert, dass Tierwohl häufig als Marketingbegriff verwendet wird. Silvia Prugger ist Milchbäuerin in St. Johann am Tauern und betreut 15 Milchkühe, deren Kälber und die Nachzucht – insgesamt also 28 Rinder im Laufstall mit Weide und Auslauf. Prugger: „Für mich ist Tierwohl eine Selbstverständlichkeit. Es ärgert mich, dass Tierwohl meist als Marketingbegriff herhalten muss und unsere gesamten Tierwohlleistungen kaum Wertschätzung erfahren.“ Und weiter: „Gelebtes Tierwohl ist im Berggebiet auch mit Kombinationshaltung mit Weide und Stallhaltung erreichbar. Entscheidend ist auch ein komfortabler Liegeplatz im Stall, eine gesunde wiederkäuergerechte Fütterung und ein guter, respektvoller Umgang mit den Tieren. Geht’s den Tieren gut, geht es auch uns Bäuerinnen und Bauern gut.“
Milch ist die effizienteste Art, aus Gras hochwertige Lebensmittel herzustellen. Dafür nutzen die Kühe zu einem großen Anteil Pflanzen, die wir Menschen nicht verdauen können, nämlich Gräser und Leguminosen. Die Milchproduktion ist somit die effizienteste Art, Gras zu verwerten und daraus hochwertige Lebensmittel zu produzieren. Und das in Regionen, die oft für den Anbau von Ackerkulturen nicht geeignet sind, weil diese entweder zu nass, zu trocken, zu steil oder zu steinig sind. Somit leistet die Milchviehhaltung nicht nur einen wesentlichen Anteil an der Lebensmittelproduktion, sondern auch an der Pflege der Kulturlandschaft, die Österreich für den Tourismus so attraktiv macht.
Grünland speichert fast so viel CO2 wie ein Hektar Wald. Außerdem sind Wiesen und Weiden sehr gute CO2-Regulatoren. Ein Hektar gutes Dauergrünland speichert durch den hohen Humusgehalt 196 Tonnen CO2, das heißt, weniger als ein Hektar Wald, aber mehr als Ackerland. Gleichzeitig erhält die Milchwirtschaft im Grünland die Artenvielfalt. Denn ohne die Pflege der Wiesen würden in kurzer Zeit wenige Pflanzenarten dominieren. Das zeigt sich verstärkt auf Almen mit wenig Viehbesatz.
Das sagen die Molkerei-Chefs
Johann Loibner, Vorstand der Berglandmilch
„Wir erleben stürmische Zeiten. In den vergangenen zwölf Monaten haben wir den Erzeugermilchpreis so stark erhöht wie nie zuvor in der Geschichte der Berglandmilch. Damit erbringen wir als größte österreichische Molkerei eine Vorleistung, um die Kostenexplosionen auf den Milchviehbetrieben abzufedern. Die Verhandlungen mit dem Lebensmittelhandel verlaufen sehr hart, dennoch hoffen wir auf einen positiven Abschluss. Und weiter: „Gleichzeitig ist auch die Berglandmilch mit enormen Kostensteigerungen bei Energie, Verpackung und Logistik konfrontiert. Lieferketten sind durchbrochen, versprochene Verpackungen werden nicht rechtzeitig geliefert. Die Zeiten billiger Lebensmittel sind vorbei, jedenfalls können wir eine sichere Versorgung mit Milch- und Milchprodukten garantieren.“ Die gute Nachricht, so Loibner, zum Schluss: „Die Berglandmilch wird in Voitsberg kräftig in eine Glasabfüllanlage investieren, sodass wir den Steirerinnen und Steirern Trinkmilch und Joghurts in umweltfreundlicher Verpackung anbieten können.“
Andreas Radlingmaier, Aufsichtsratsvorsitzender Landgenossenschaft Ennstal/Ennstal-Milch
„Die Situation für die Milchbauern und Molkereien ist extrem turbulent. Bauern und Molkereien sind mit explosionsartigen Preissteigerungen konfrontiert. Diese außergewöhnliche Situation wird bei den aktuell sehr harten Verhandlungen vom Lebensmittelhandel teils leider nicht ausreichend akzeptiert. Erfreulicherweise gibt es aber auch Lichtblicke.“ Und weiter: „Gegenüber Mai 2021 sind die Milchanlieferung und Milchverarbeitungen bei der Ennstal-Milch um sechs Prozent gestiegen. Wir tun alles, um unseren Milchlieferanten Zuversicht zu vermitteln, dass ihr Einsatz für eine sichere Versorgung nicht umsonst ist. Gleichzeitig spüren wir auch über unsere Landmarkt-Märkte, dass die Kaufkraft nachlässt. Wir merken, dass sich der Verkauf von Premium-Produkten in Richtung Einstiegsprodukte verlagert.“ Und Radlingmaier zum Thema Tierwohl: „Ich bin froh, dass über das AMA-Gütesiegel ein österreichweiter, für die Verbraucher leicht verständlicher, Standard für Tierwohl-Milch entwickelt wird. Mit dem Berg-Milchvieh-Projekt gibt es eine wertvolle Unterstützung für vertretbare Umbaumaßnahmen.“
Jakob Karner, Obmann Obersteirische Molkerei
„Wir haben sehr bewegte Zeiten. Noch nie zuvor sind die Kosten für die Bauern und Molkereien so stark gestiegen – eine Folge der hohen Inflation und des russischen Angriffskrieges. Trotzdem haben Milch- und Milchprodukte mit Ausnahme von Butter die Inflation bisher gebremst – die Preise für die Endkunden sind weniger stark gestiegen als die derzeitige Inflationsrate.“ Obmann Jakob Karner wagt einen Blick in die Zukunft: „Wir werden im Herbst europaweit ausreichend Milch- und Milchprodukte haben. Es wird aber notwendig sein, dass Europa die afrikanischen Länder mit günstigem Getreide versorgt. Das ist die große Herausforderung.“
Foto: LK/Danner