Zu aktuellen Fragen der Agrarpolitik verwies Landesrat Hans Seitinger im Pressegespräch auf durchaus „spannende Ausblicke auf das Jahr 2017“. Die rasanten gesellschaftspolitischen Zeitenläufe der Bauernschaft seien, so Seitinger, in den vergangenen Jahrzehnten von Turbulenzen und Dramatik unübertroffen und beispiellos gewesen.
Sehr dezidiert sprach sich der Agrarlandesrat für eine „Landwirtschaft 4.0“ aus und verwies auf drei vorrangige Aufgaben einer zukunftsfähigen Agrarpolitik: Digitalisierung, noch mehr Kampf für noch bessere Qualität sowie die Forcierung einer „Ethik des Genug“ seien die Hausaufgaben der Zukunft.
Digitale Technologien würden die Arbeit auf landwirtschaftlichen Betrieben erleichtern. Die Nutzung von Wetter-Apps und anderen Datenmanagementsystemen helfe heute schon, Boden- und Ernteverfahren zu optimieren. Und Cloudlösungen, beispielsweise für die Grund- und Stickstoff-Düngung, würden eine bessere Pflanzenversorgung ermöglichen. Schließlich würden Futterroboter, Messeinrichtungen zur Milchinhaltsstoffbestimmung oder Klimaführungssysteme einen wesentlichen Beitrag zum Tierwohl leisten. Der Handelskrieg um Marktanteile, so Seitinger weiter, sei in Zukunft ausschließlich mit Qualität und nicht mit billiger Masse zu gewinnen. In diesem Zusammenhang erteilt er dem „Discount-Wohlstand“ eine klare Absage.
„Seit ein paar Jahren lernen wir schmerzvoll, dass dieser ‚discountierte Wohlstand‘ sich radikal in Frage stellt, weil wir uns längst in einem Wettrennen um die knappen Ressourcen befinden.“ Der Handelskrieg der Lebensmittelketten sowie das Wettrennen um Spottpreise seien Beispiele dafür, dass „billig, billig, billig‘ sowie ‚Geiz ist geil‘ keine nachhaltige Strategie sind“.
Den Handelsketten würden die steirischen Landwirte im Jahr 2017 noch akzentuierter klarmachen, dass es einer fairen und vor allem verantwortungsbewussten Partnerschaft bedürfe: „Wir sehen jetzt schon, dass hierbei starke Erzeugergenossenschaften nützlich sind.“
Letztlich plädierte der Verantwortliche des ‚Lebensressorts‘ innerhalb der Steiermärkischen Landesregierung für die Vision einer „Ethik des Genug“. Gerade der Missbrauch der Möglichkeiten der modernen Biotechnologie, der unfassbare Raubbau unserer Ressourcen, die erschreckend breite Palette schmutziger (Finanz-)Geschäfte würden „die Menschen überfordern, die Moral sprengen und den Frieden gefährden“. Seitinger abschließend: „Eine glaubwürdige ‚Ethik des Genug‘ verlangt vordringlich nach Konsequenzen für unsere Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Diese ist für uns Wohlhabende nicht vorrangig als Verzichtsethik zu sehen. Sie bedeutet vielmehr im Kern einen Gewinn an Lebensqualität, die darin besteht, sich von Verschwendung und materieller Orientierung zu befreien.“
Titschenbacher: Sieben starke Pflöcke eingeschlagen
Hotspots: Einfacherer und unkomplizierter Zugang zu Wasser für Frostberegnung und Bewässerung bei Dürre. Energiewende nur mit Beitrag der Land- und Forstwirtschaft möglich.
Sieben zentrale Vorhaben. „Für 2017 haben wir sieben starke Pflöcke zur Weiterentwicklung der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe eingeschlagen. Diese sind die Vorarbeiten zur Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik ab 2021, die Hotspots Wasserzugang, Bürokratieabbau und Tierwohl, weiters Erneuerbare Energie und Klimaschutz sowie die Verwendung von heimischen Lebensmitteln in öffentlichen Großküchen“, skizziert Präsident Franz Titschenbacher die zentralen Vorhaben.
Hotspot: Einfacherer und unkomplizierter Zugang zum Wasser. „Um bei Frost oder Dürre die Ernte retten und die Lieferverträge mit den Handelsketten und Abnehmern einhalten zu können, brauchen die heimischen Bauern, insbesondere die Obstbauern sowie Produzenten von Spezialkulturen wie beispielsweise von Gemüse, Käferbohnen, Kren oder Saatmais einen einfacheren, unkomplizierten und prioritären Zugang zum Wasser nach Südtiroler Vorbild. Hier sind 2017 die Weichen zu stellen“, unterstreicht der Kammerpräsident und betont: „Dass die Ernte verdorrt oder noch größere Frostschäden auftreten, weil für die Frostberegnung zu wenig Wasser zur Verfügung steht und der Wasserzugang für den Einzelbetrieb zum bürokratischen Spießrutenlauf wird – das soll künftig Vergangenheit sein“.
Bürokratieabbau: Kultur des Ermöglichens muss der überbordenden Regulierungswut weichen. Der Vorschriftenwahn und die bürokratischen Auswüchse lähmen die Landwirtschaft und sind extrem kostenintensiv. Bis zu acht teure Gutachten sind neben einer Machbarkeitsstudie (insgesamt bis zu 30.000 Euro) erforderlich, um ein Wasserrecht (wenn überhaupt) für die Bewässerung oder die Frostberegnung zu bekommen. „Auch die heimischen Teichwirte brauchen beim Wasserrecht bürokratische Erleichterungen und langfristige Planungssicherheit, um wegen der steigenden Nachfrage nach regionalen Süßwasserfischen das heimische Angebot auf zumindest 60 Prozent zu verdoppeln und die Betriebsnachfolge zu sichern“, betont Titschenbacher.
Noch mehr Tierwohl gibt es nicht zum Nulltarif – Lebensmittelhandel ist am Zug. Das von der Landwirtschaftskammer erarbeitete Tierwohlkonzept sieht zusätzliche Investitionen der Bauern in besonders tierfreundliche Haltungen vor. „Allerdings ist noch mehr Tierwohl nicht zum Nulltarif möglich, hier sind Lebensmittelhandel und Konsumenten am Zug“, stellt Titschenbacher klar. Erfreulicherweise geht ein Diskonter seit wenigen Tagen in diese Richtung und zahlt den 15 Projekt-Schweinebauern um 30 Prozent mehr. Auch zahlreiche steirische Schweinebauern haben bereits Ställe mit neuesten Tierwohlerkenntnissen, ohne ihre Tierwohlleistungen abgegolten zu bekommen.
Energiewende nur mit Beitrag der Bauern möglich: Es ist skandalös, dass Elektroautos mit Kohle- und Atomstrom aus Tschechien fahren. Als Hauptbetroffene des Klimawandels bieten die Bauern mit der Biomasse als Rückgrat der erneuerbaren Energieträger auch einen wichtigen Lösungsbeitrag zum Klimaschutz. Titschenbacher: „Wir werden den Ausbau der effizienten, sparsamen und klimafreundlichen Ökowärme weiter vorantreiben, sehen im Gewerbebereich einen Aufholbedarf und Potenzial bei jenen Haushalten, die noch mit Öl heizen“. Als skandalös und vollkommen unintelligent bezeichnet Titschbacher, dass künftig Elektroautos mit Kohle- und Atomstrom aus Tschechien fahren müssen, während unsere 40 steirischen Ökostromanlagen, die verlässlich rund um die Uhr umweltfreundlichen Strom erzeugen, gefährdet sind und dringend auf eine Einspeisetarif-Nachfolgeregelung warten.
Kühlschränke, Computer und Autoteile aus Holz dürfen nicht Zukunftsmusik bleiben. Ein wichtiger Schlüssel ist die zukunftsweisende Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Forschung. So zeigen Tests, dass Holz aufgrund seiner hervorragenden Festigkeits-, Steifigkeits- und Standfestigkeitswerte und dem exzellenten Dämpfungsverhalten sowie der geringen Rohstoffkosten eine geniale und sichere Alternative zu Glas- und Karbonwerkstoffen ist. „Wir wollen in den kommenden Jahren einen großen Schritt vorankommen. Es bleibt keine Zukunftsmusik mehr, dass Fahrzeugbauteile, Kühlschrank- und Computerhüllen aus Holz hergestellt werden können“. Und in der agrarischen Forschung wird ein besonderer Fokus auf die Minimierung der Geruchsemissionen aus Geflügel- und Schweineställen im Sinne einer guten Nachbarschaft in den Dörfern gearbeitet.
Regionale Lebensmittel in öffentlichen Großküchen: Taten müssen folgen. Großküchen von Schulen, Internaten, Kasernen, Spitälern, Pflege- und Altersheimen müssen nicht mehr die billigsten Lebensmittel kaufen, sondern können nach dem Bestbieterprinzip regionale Lebensmittel verwenden. Erfreulicherweise haben sich dem beispielsweise Kasernen und Landwirtschaftsschulen angeschlossen. „Heuer müssen diesem gesetzlichen Bekenntnis weitere Taten folgen“, so Titschenbacher. Niederösterreich als großer Vorreiter kennzeichnet in den öffentlichen Großküchen bereits die Herkunft der Lebensmittel.
Erste Vorarbeiten für EU-Agrarpolitik ab 2021. Heuer werden die ersten Weichen zur Neuausrichtung der EU-Agrarpolitik 2021 bis 2027 gestellt. Dabei geht es darum, einen entsprechenden Finanzrahmen sowie die Kofinanzierung des Umwelt- und Bergbauernprogrammes je zur Hälfte durch EU sowie Bund und Länder sicherzustellen. Titschenbacher: „Für die Bauern sind die Ausgleichszahlungen überlebensnotwendig, die Gesellschaft und der Tourismus
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