Aktuelle WIFO-Studie zeigt, dass die Bauern für ihre Leistungen real weniger bekommen, andere Branchen in der Lebensmittel-Wertschöpfungskette aber durch die landwirtschaftlichen Produkte kräftig wachsen. Landwirtschaftskammer-Präsident Franz Titschenbacher verlangt vom Handel und der Lebensmittelindustrie eine rot-weiß-rote Trendumkehr und eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung für verarbeitete Lebensmittel. Nun startet die Landwirtschaftskammer die Offensive „Sei fair und iss heimisch“ und eröffnet bei Hofgesprächen im Rahmen der Woche der Landwirtschaft (26. September bis 3. Oktober) eine breite Debatte für eine faire Verteilung der Wertschöpfung bei landwirtschaftlichen Produkten.
WIFO-Studie: Nur 3,67 von 100 Euro. „Die Landwirtschaft trägt wesentlich zum Wohlstand in unserem Land bei, allerdings hat das volkswirtschaftliche Gewicht in der Landwirtschaft in den vergangenen Jahren abgenommen“, fasst Studienautor Franz Sinabell vom renommierten Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung WIFO die Ergebnisse zusammen. Der Wirtschaftsforscher konkretisiert: „Werden in Österreich um 100 Euro Lebensmittel eingekauft, liegt die inländische Wertschöpfung bei 46 Euro, der Rest entfällt auf Steuern und Importe. Der Anteil für die Landwirtschaft ist mit 3,67 Euro vergleichsweise gering. In den nachgelagerten Wirtschaftssektoren wird mehr Wertschöpfung erzielt: auf die Lebensmittel- und Futtermittelindustrie entfallen 9 Euro, auf den Groß- und Einzelhandel 17,34 Euro.“ Insgesamt verringerte sich der Anteil der Landwirtschaft an der Wertschöpfungskette Agrargüter, Lebensmittel und Getränke von noch 20,2 Prozent im Jahr 2005 auf 17,5 Prozent im Jahr 2019. Jener beim Bruttoinlandsprodukt im gleichen Zeitraum von 0,9 auf 0,8 Prozent.
Steiermark importiert für 280 Millionen Euro Fleisch, Milch und Eier. Ein wesentlicher Grund für den niedrigen Wertschöpfungsanteil in der heimischen Landwirtschaft ist der hohe Anteil an internationalen (Billigst)Importen von Agrargütern. So hat die Steiermark gemäß Statistik Austria im Jahr 2019 allein Fleisch, Milch, Milcherzeugnisse und Eier im Wert von 280 Millionen Euro importiert. Geld, das den steirischen Bäuerinnen und Bauern fehlt. Neben anderen Faktoren tragen dazu auch die Lebensmittelindustrie und der Handel bei, weil in den waschsenden Eigenmarken-Segmenten zusehends ausländische Agrargüter verarbeitet werden.
Kleine Einkaufsveränderung große Wirkung. Tatsächlich hat die steirische Landwirtschaft das Potenzial den Wirtschaftsmotor in der Steiermark weiter auf Touren zu bringen. Wie eine WIFO-Studie von Franz Sinabell aus dem Vorjahr zeigt, wird bei einer Nachfragesteigerung nach heimischen Lebensmitteln von nur einem Prozent die Wertschöpfung in der Steiermark um 18 Millionen erhöht (Österreich: 141 Millionen Euro) und 500 zusätzliche Arbeitsplätze (Österreich: 3.100) geschaffen. Titschenbacher: „Jeder Haushalt, der also um nur 3,50 Euro im Monat ausländische durch heimische Lebensmittel ersetzt, schafft Arbeitsplätze und stärkt die Landwirtschaft sowie die Regionen.“
Titschenbacher an Handel und Lebensmittelindustrie: Massiver Handlungsbedarf – Bauern dürfen nicht auf der Strecke bleiben – verpflichtende Herkunftskennzeichnung notwendig. „Der Handel macht Werbung mit der heimischen Landwirtschaft, verwendet aber zu oft ausländische Produkte in den Eigenmarken“, fasst Kammerpräsident Franz Titschenbacher die aktuelle Situation zusammen und verlangt eine rot-weiß-rote Trendumkehr:
- Von der Lebensmittelindustrie: Vorrang von regionaler Qualität bei verarbeiteten Lebensmitteln wie beispielsweise bei Wurst, Nudeln und Co.
- Vom Handel: Weg von der Aktionitis und den Rabattismus mit klimaschädlich hereingekarrten Billigwaren niedriger Standards
- Von der Politik: Eine klare Herkunftskennzeichnung bei verarbeiteten Lebensmitteln wie Wurst, Nudeln und Co. sowie von Essen in Großküchen
Vizepräsidentin Maria Pein: Offensive „Sei fair und iss heimisch“. Als Spitzenvertreterin der heimischen Schweinebauern kritisiert auch Vizepräsidentin Maria Pein die ungleiche Verteilung in der Lebensmittel-Wertschöpfungskette und fordert einen fairen Anteil für die Landwirtschaft ein: „Durch die hohen Energie- und Futtermittelpreise füttern und betreuen Schweinebauern ihre Tiere, ohne nur einen einzigen Cent zu verdienen. Das ist untragbar. Wir können nicht zum Nulltarif arbeiten.“
Bei der Woche der Landwirtschaft (26. September bis 3. Oktober) eröffnet die Landwirtschaftskammer bei Hofgesprächen unter dem Titel „Sei fair und iss heimisch“ die Debatte für eine faire Verteilung der Wertschöpfung bei landwirtschaftlichen Produkten. „Wir wollen die unfaire Situation aufzeigen und mit Unterstützung von Meinungsmachern die Bevölkerung als Verbündete gewinnen“, informiert die Vizepräsidentin über diese Offensive.
Richard Judmaier, Sprecher Junge Landwirtschaft: Kampf David gegen Goliath. „Wir Milchbauern kämpfen um notwendige Preisanpassungen. Gemeinsam mit den Molkereien können wir die gestiegenen Energie-, Treibstoff- und Kartonkosten nicht mehr stemmen“, sagt Richard Judmaier, Sprecher der Jungen Landwirtschaft in der Steiermark, und fordert die Verantwortung des Handels gegenüber den Produzenten ein. Er wünscht sich vom Handel Preisgespräche auf Augenhöhe und mit gegenseitigem Respekt. Judmaier gibt einen Einblick in die Einkommensverhältnisse der heimischen Milchbauern: Nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge bleibt einem durchschnittlichen Milchviehbetrieb (25,8 Hektar, 22 Kühe) ein Stundenlohn von 2,11 Euro, der aber Einsatz und Bereitschaft von 24 Stunden, 7 Tage pro Woche, auch an Sonn- und Feiertagen, verlangt.
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