Trotz großer Empörung in der Bevölkerung haben die russischen Behörden am Donnerstag damit begonnen, Lebensmittel aus dem Westen zu vernichten.
Produkte, die unter das vor einem Jahr verhängte Embargo fallen, werden an den Grenzen nicht mehr zurückgeschickt, sondern beschlagnahmt und zerstört. Präsident Wladimir Putin hatte dies vergangene Woche angeordnet. Prominente und Bürger forderten, die Lebensmittel lieber an Bedürftige zu verteilen. „Von heute an müssen alle landwirtschaftlichen Produkte und Lebensmittel aus einem Land, das Sanktionen gegen Russland oder russische Staatsbürger verhängt hat, zerstört werden“, teilte das Landwirtschaftsministerium in Moskau mit.
Die Lebensmittelaufsichtsbehörde erklärte, an der Grenze zu Weißrussland seien drei Lastwagenladungen Pfirsiche und Nektarinen mit falscher türkischer Herkunftsbezeichnung entdeckt worden; sie seien mit Hilfe von Traktoren und Bulldozern ungenießbar gemacht worden, meldet Dow Jones News. Das Fernsehen zeigte, wie in Belgorod an der ukrainischen Grenze Dampfwalzen eine große Ladung Käse plattmachten. Die neun Tonnen würden anschließend vergraben, sagte eine Sprecherin der Aufsichtsbehörde.
Bereits 114 Tonnen Schweinefleisch vernichtet
Der Import von Milchprodukten, Fleisch, Fisch, Obst und Gemüse aus Australien, Kanada, der EU, Norwegen und den USA ist seit einem Jahr verboten. Findige Importeure würden aber die verbotenen Waren einfach umdeklarieren und behaupten, sie kämen aus nicht betroffenen Lieferländern, mutmaßt die russische Regierung. Die Aufsichtsbehörde hat angekündigt, allein am Donnerstag würden hunderte Tonnen von Lebensmitteln zerstört. Bereits am Montag waren, um die Entschlossenheit zu zeigen, 114 Tonnen Schweinefleisch aus Europa vernichtet worden. Ein Sprecher der Behörde warnte am Donnerstag, jeder, der die Lebensmittel esse, statt sie zu zerstören, begehe eine Straftat, wie die Zeitung „Iswestija“ berichtete.
Ein Jahr nach dem Importstopp
Russland hat das Embargo vor einem Jahr am 7. August 2014 als Antwort auf die Sanktionen des Westens wegen der Ukraine-Krise verhängt. Seither sind die europäischen Agrarmärkte deutlich belastet, auch wenn in der Zwischenzeit teilweise alternative Absatzwege innerhalb der EU und in Drittstaaten gefunden wurden.
Immerhin wurden 2013 noch zehn Prozent der EU-Agrar- und Lebensmittelexporte nach Russland verbracht. Der Anteil der jetzt „verbotenen“ Nahrungsmittel hat sich auf vier Prozent belaufen. Die Ausfuhren der EU von Milchprodukten sowie Obst und Gemüse sind nach dem Exportstopp um zehn Prozent beziehungsweise zwölf Prozent eingebrochen, was angesichts der erheblichen Mengen, die zuvor nach Russland gegangen sind, nicht verwunderlich ist.
Erst gestern sprach der deutsche Bauernverband von fast eine Milliarde Euro Verlusten für die Landwirte in dem Land durch das russische Embargo. Die Exporte nach Russland hätten sich in Deutschland von 1,8 auf 0,9 Milliarden Euro halbiert. Bei Fleischwaren und Milchprodukten sei die Ausfuhr „praktisch auf null“ zurückgegangen; das gelte auch für Obst und Gemüse.
Neue Exportmärkte erschließen
Laut Europäischer Kommission hat sich der Wert der gesamten EU- Agrar- und Nahrungsmittelexporte von August 2014 bis Mai 2015 dennoch um fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr erhöht. Die größten wertmäßigen Zuwächse seien in den USA, China, der Schweiz und anderen asiatischen Schlüsselmärkten, wie Hongkong und Südkorea erreicht worden.
Besonders gravierend sind neben den Exportproblemen die indirekten Auswirkungen des Importstopps. Mengen, die bisher nach Russland exportiert wurden, drängen auf den EU-Binnenmarkt und sorgen hier für zusätzlichen Preisdruck. Das betrifft vor allem die Produkte Milch und Fleisch sowie Obst und Gemüse. Die EU-Kommission hat daher vergangene Woche die geförderte Private Lagerhaltung von Butter und Magermilchpulver bis Ende Februar 2016 verlängert. Auch die Intervention von Milchprodukten ist ohne Unterbrechung bis ins kommende Jahr möglich. Heute hat die Brüsseler Behörde auch die Fortführung des Marktentlastungs-Programms im Obst- und Gemüsebereich bis 30. Juni 2016 formell beschlossen. Durch vorzeitiges Ernten, Kompostieren oder Verschenken von Früchten an karitative Organisationen soll zu einer Stabilisierung der Preise beigetragen werden. Bisher wurden auf diese Weise bereits rund 793.000 t Obst und Gemüse vom Markt genommen.
Neben Stützungsmaßnahmen für die Milch-, sowie Obst- und Gemüsemärkte verfolgt die Brüsseler Behörde auch intensivere Gespräche über neue Freihandelsabkommen, bei denen erst kürzlich eine Einigung mit Vietnam erreicht worden war.
Auch an der Aufhebung von Handelsbarrieren für verschiedene Märkten in Drittländern arbeitet die EU-Kommission und berichtet von Erfolgen über Marktöffnungen in Kanada für Birnen aus Belgien und Äpfel aus Polen mit einem Marktwert von mehr als 300 Millionen Euro. Überdies habe China die Einfuhrerlaubnis für tiefgekühltes Rindfleisch aus Ungarn gegeben und Japan das EU-Konzept für Listerien akzeptiert.
Die verschiedenen Akteure hätten gelernt ihre Exporte zu diversifizieren, so die Kommission. Nicht zuletzt wird aber auch eine erhöhte weltweite Produktion von Milchpulver registriert.