Österreichs bäuerliche Familienbetriebe geraten durch die Übermacht von Handelskonzernen und anderen großen Abnehmer zunehmend unter Druck. Ein wichtiger Schritt, um die Situation für unsere Bäuerinnen und Bauern zu verbessern, ist die nationale Umsetzung der EU-Richtlinie gegen unfaire Geschäftspraktiken entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette, die von Landwirtschaftsministerin Köstinger initiiert wurde. Heute hat der Ministerrat die entsprechenden Änderungen des Wettbewerbs- und Nahversorgungsgesetzes beschlossen. Mit Anfang 2022 treten die neuen Regeln in Kraft.
Zudem wird im Landwirtschaftsministerium eine Ombudsstelle für heimische Bäuerinnen, Bauern, Verarbeiter und Produzenten eingerichtet, um einen einfachen Zugang zu schneller Hilfe gegen unlautere Praktiken zu ermöglichen. Ab 1. März 2022 wird die Ombudsstelle ihre Arbeit aufnehmen.
„Heute ist ein guter Tag für die heimischen Bauern und kleinen Verarbeiter. Endlich ist Schluss mit unfairen Geschäftspraktiken von großen Konzernen auf dem Rücken der kleinen Produzenten. Mit dieser Gesetzesänderung schieben wir diesen Praktiken wirksam einen Riegel vor. Im ‚Kampf David gegen Goliath‘ stehe ich an der Seite Landwirtschaft, der kleinen Erzeuger und Verarbeiter. Ich werde auch in Zukunft den Finger in die Wunden legen – auch wenn es die Handelsketten stört. Wie mit unseren Bäuerinnen und Bauern teilweise umgegangen wird, ist unwürdig”, so Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger.
Das verbessert sich für unsere Bäuerinnen und Bauern
- Unfaire Geschäftspraktiken im nationalen Recht
2019 haben das Europäische Parlament und der Rat zum ersten Mal eine europaweite gesetzliche Definition, was unlautere Praktiken entlang der Lebensmittelwertschöpfungskette sind, verabschiedet. Jetzt wird das im nationalen Recht umgesetzt: Damit wird es erstmals einen klaren Rechtsrahmen geben, der auch exekutiert werden kann.
Folgende unfaire Geschäftspraktiken fallen unter den neuen Rechtsrahmen:
- Zahlungsverzug an den Lieferanten über 30 Tage bei verderblichen Lebensmitteln
- Zahlungsverzug an den Lieferanten über 60 Tage bei anderen Lebensmitteln
- Kurzfristige Stornierung von Bestellungen verderblicher Lebensmittel
- Einseitige Änderung der Lieferbedingungen hinsichtlich Häufigkeit, Methode, Ort, Zeitpunkt oder Umfang der Lieferung, Qualitätsstandards, Zahlungsbedingungen oder Preise (auch im Hinblick auf die Erbringung von Dienstleistungen)
- Verlangen von Zahlungen vom Lieferanten,
- die nicht im Zusammenhang mit dem Verkauf der Lebensmittel des Lieferanten stehen.
- für Qualitätsminderung oder den Verlust, die nicht durch Fahrlässigkeit oder Verschulden des Lieferanten verursacht werden.
- Verweigerung einen schriftlichen Vertrag zu schließen, wenn dies gewünscht ist
- Rechtswidriger Erwerb oder Nutzung von Geschäftsgeheimnissen des Lieferanten
- Androhung oder Ergreifen von Vergeltungsmaßnahmen gegen den Lieferanten, wenn der Lieferant sein Recht durchsetzen möchte
- Verlangen einer Entschädigung für die Kosten von Kundenbeschwerden im Zusammenhang mit dem Verkauf der Erzeugnisse des Lieferanten
- Gewährung schlechterer Konditionen im Vergleich zu dessen Mitbewerbern bei gleichwertiger Leistung aus unsachlichen Gründen.
- Einschränkung anderer Vermarktungsformen aus unsachlichen Gründen als Bedingung für die Aufnahme oder Fortsetzung von Geschäftsbeziehungen
Wenn nicht explizit anders vereinbart, gelten auch diese Praktiken als unlauter:
- Der Käufer schickt nicht verkaufte Lebensmittel an den Lieferanten zurück, ohne dafür zu bezahlen.
- Vom Lieferanten wird eine Zahlung dafür verlangt, dass seine Erzeugnisse zum Verkauf angeboten, gelistet oder auf dem Markt gebracht werden.
- Der Käufer verlangt vom Lieferanten, dass dieser die Kosten für Aktionen und Preisnachlässe (1+1, -25% etc.) trägt.
- Der Käufer verlangt vom Lieferanten, dass dieser für die Werbungmaßnahmen (Flugblätter, Anzeigen etc.) des Käufers zahlt.
- Der Käufer verlangt vom Lieferanten, dass dieser für die Vermarktung von durch den Käufer zahlt.
- Der Käufer verlangt vom Lieferanten eine Zahlung für das Personal für die Einrichtung der Räumlichkeiten, in denen die Erzeugnisse des Lieferanten verkauft werden.
- Ausweitung des Geltungsbereiches gegen unlautere Geschäftspraktiken
Der Schutz von Lieferanten und Produzenten wird auf weitere Unternehmen ausgeweitet.
- Somit wird sichergestellt, dass noch mehr Lieferanten und Produzenten vom Schutz gegen unlautere Geschäftspraktiken profitieren.
- Lieferanten, die eine Jahresumsatz von bis zu 1 Mrd. EURO erwirtschaften sind somit auch geschützt und zwar gegenüber Käufer, die einen Jahresumsatz von über 5 Mrd. Euro aufweisen.
- Dieser Geltungsbereich gilt vorerst befristet bis Ende 2025 und wird dann evaluiert.
- Ombudsstelle für Bäuerinnen und Bauern
Zusätzlich wird im Landwirtschaftsministerium eine Ombudsstelle eingerichtet.
- Betroffene Bauern bzw. Lieferanten können sich (auch anonym) ab März 2022 an diese Ombudsstelle wenden.
- Damit soll es den kleineren Akteuren einfacher möglich sein, Beschwerde einzureichen ohne Angst vor Vergeltungsmaßnahmen haben zu müssen – etwa Auslistungen der Produkte im Handel.
- Diese Erstanlaufstelle wird unabhängig und weisungsfrei 2022 soll die Erstanlaufstelle ihre Arbeit aufnehmen.
- In jährlichen Berichten wird die Erstanlaufstelle über die Anzahl und Arten von unlauteren Praktiken berichten und so zu mehr Transparenz beitragen
Beispiele für unfaire Geschäftspraktiken
Ein Landwirt liefert leicht verderblich Lebensmittel, wie z.B. Paradeiser, an eine Handelskette und wartet mehrere Monate auf die ausgemachte Bezahlung der Lieferung.
- NEU: Ab jetzt muss das Handelsunternehmen innerhalb von 30 Tagen die offene Rechnung begleichen.
Ein großes Handelsunternehmen feiert die Ausweitung seiner Filialen oder ein langjähriges Bestehen. Die Kosten von Werbeaktionen und Sonderangeboten werden direkt an die Lieferanten abgewälzt. Kunden strömen in die Filialen, dem Handelsunternehmen entstehen keine Kosten und der Lieferant muss zahlen.
- NEU: Kostenweitergabe an den Lieferanten bei Werbemaßnahmen und Vermarktung ist nicht erlaubt. Ab sofort muss das Handelsunternehmen für seine Werbung selber zahlen.
Der Lieferant, der sich in einer schwächeren Verhandlungsposition sieht, möchte statt einer mündlichen Vereinbarung einen schriftlichen Vertrag aufsetzen, da das Handelsunternehmen häufig die mündliche Abmachung nachträglich ändert oder anders interpretiert.
- NEU: Auf Verlangen müssen schriftliche Verträge verfasst werden. So kann im Nachhinein der Stärkere nicht seine Marktmacht missbrauchen um mündliche Verträge in Frage zu stellen.
Der Lieferant fühlt sich einer unlauteren Maßnahme ausgesetzt und bringt es zur Sprache. Das Handelsunternehmen droht dem Lieferanten mit Auslistung aus dem Sortiment und Vergeltungsmaßnahmen, sollte dieser es wagen sich an die öffentlichen Stellen zu wenden. Der Lieferant schweigt aus Existenzangst.
- NEU: Das Handelsunternehmen macht sich durch Androhung strafbar. Die neue Ombudsstelle steht Betroffenen mit Rat und Tat zur Seite, um ihr Recht durchzusetzen.
Der Lieferant bietet ein neues Produkt dem Handelsunternehmen zum Verkauf in dessen Filialen an. Das Handelsunternehmen verlangt dann aber einseitig zusätzlich eine Gebühr um das Produkt prominent zu platzieren bzw. überhaupt in das Sortiment aufzunehmen.
- NEU: Es gibt keine versteckten Kosten oder Extra-Zahlungen die vom Lieferanten verlangt werden, um überhaupt in das Sortiment aufgenommen zu werden.
Ein steirischer Apfelbauer liefert auf Basis eines mündlichen Vertrages 10 Tonnen Äpfel an eine Handelskette. Es werden nur 8 Tonnen im Handel verkauft. Der Konzern gibt ihm die 2 restlichen Tonnen wieder zurück, ohne sie zu bezahlen obwohl dies so vereinbart war.
- NEU: Was bestellt und abgenommen wurde muss auch bezahlt werden. Die Handelskette muss die gelieferten 10 Tonnen bezahlen.
Handelsketten werben sehr intensiv mit Flugblättern oder doppelseitigen Inseraten, in denen bestimmte Produkte beworben werden. Oft werden Lieferanten vor die Wahl gestellt: Entweder man leistet einen finanziellen Werbebeitrag oder das eigene Produkt wird nicht in die Bewerbung aufgenommen und verkauft sich somit schlechter.
- NEU: Bewerbungen in Flugblättern erfolgen nur mehr freiwillig und ohne Kostenabwälzung an die Lieferanten.
EU-Richtlinie ist Erfolg der österreichischen Ratspräsidentschaft
- Unter österreichischer Ratspräsidentschaft wurde unter Federführung von Bundesministerin Elisabeth Köstinger die Richtlinie für mehr Fairness entlang der gesamten Lebensmittelversorgungskette beschlossen.
- Landwirtschaftliche Betriebe, Verarbeiter, Händler, Großhandel, Lebensmitteleinzelhandel und Verbraucher sind alle Akteure in der Lebensmittelversorgungskette. Dabei sind kleinere Akteure in dieser Kette oft Opfer von unfairen Geschäftspraktiken (unfair trading practices – UTP), weil sie eine schwächere Verhandlungsposition als größere Akteure in der Kette haben.
- Zum ersten Mal wurde mit der Richtlinie auf europäischer Ebene ein verbindliches Regelwerk geschaffen, das unfaire Praktiken eindämmen und kleine Erzeuger schützen soll. Das Ziel sind gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Akteure.
Foto: Paul Gruber